Der Aufstieg der Rechten
In einer Zeit, in der Angst und Unsicherheit vor dem sozialen Abstieg sowie vor multiplen Krisen wie dem Klimawandel und Covid-19 tief in den Mittelstand eindringen, verzeichnet Europa, und insbesondere Deutschland, einen beunruhigenden Anstieg rechtspopulistischer und rechtsextremer Gruppen. Die Frage, die sich nun stellt, ist: Was kann die Politik tun, um diesen Aufstieg zu stoppen?
Soziale Angst und politische Unruhe: Die Wurzeln des Problems
Vor dem Hintergrund der Globalisierung und ihrer Auswirkungen erleben viele Menschen in Europa und insbesondere in Deutschland eine zunehmende soziale Unsicherheit. Dies wird durch die Folgen des Klimawandels und der Covid-19-Pandemie noch verstärkt.
Die Arbeit von Robert D. Putnam, einem amerikanischen Politikwissenschaftler, liefert ein wertvolles Framework zur Untersuchung dieses Phänomens. Putnam argumentiert in seinem Buch „Bowling Alone: The Collapse and Revival of American Community“ (2000), dass das Gefühl der Zugehörigkeit und Gemeinschaft in der modernen Gesellschaft abnimmt, was zu einem Anstieg der Angst und Unsicherheit führt.
Die Soziologin Saskia Sassen spricht in ihrem Werk „Expulsions: Brutality and Complexity in the Global Economy“ (2014) ähnliche Themen an. Sassen argumentiert, dass die neoliberale Globalisierung zur Marginalisierung und Ausgrenzung von Menschen führt, was zu Unsicherheit und sozialer Unruhe führt.
Reaktion auf die Krisen
In diesem Kontext wird der Aufstieg rechtspopulistischer und rechtsextremer Gruppen als Reaktion auf die gefühlte Bedrohung und Unsicherheit interpretiert. Cas Mudde, ein renommierter Experte für rechtspopulistische Bewegungen, argumentiert in seinem Buch „Populist Radical Right Parties in Europe“ (2007), dass diese Gruppen eine Reaktion auf die wahrgenommene Bedrohung der nationalen Identität und der sozialen Stabilität darstellen.
In Deutschland ist die Alternative für Deutschland (AfD) ein klares Beispiel für diese Entwicklung. Die Partei, die ursprünglich als Reaktion auf die Eurokrise gegründet wurde, hat in den letzten Jahren zunehmend rechtspopulistische und rechtsextreme Positionen eingenommen. Dabei hat sie die Ängste und Unsicherheiten der Bevölkerung geschickt für ihre politische Agenda genutzt.
Ein wichtiger Faktor, der bei der Analyse des Aufstiegs der AfD nicht übersehen werden darf, ist die Einführung der Agenda 2010 durch die SPD unter Bundeskanzler Gerhard Schröder im Jahr 2003. Die Reformen, die unter den Stichworten Hartz IV und „Fördern und Fordern“ bekannt wurden, haben das deutsche Sozial- und Arbeitsmarktsystem tiefgreifend verändert und sind bis heute Gegenstand kontroverser Debatten.
Die Agenda 2010 führte zu einer Ausweitung des Niedriglohnsektors und etablierte ein System der Arbeitslosenunterstützung, das von vielen als repressiv und entwürdigend wahrgenommen wird. Der Soziologe Klaus Dörre hat in mehreren Studien aufgezeigt, dass die Reformen eine zunehmende Prekarisierung der Arbeit und eine Ausdehnung der Armut trotz Beschäftigung zur Folge hatten.
Dies hat tiefe Unsicherheit und Unzufriedenheit in großen Teilen der Bevölkerung ausgelöst und den Boden für den Aufstieg der AfD bereitet. Die Partei hat die Ängste und Frustrationen der Betroffenen aufgegriffen und in eine anti-establishment- und anti-europäische Rhetorik eingebettet.
Die Agenda 2010 ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie wirtschaftliche Entscheidungen politische Auswirkungen haben können. Die Reformen, die ursprünglich dazu gedacht waren, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu stärken und die Arbeitslosigkeit zu reduzieren, haben in Wirklichkeit viele Menschen in unsichere und schlecht bezahlte Jobs gedrängt.
In dieser Hinsicht unterstützt die Geschichte der Agenda 2010 die Argumentation von soziologischen Theoretikern wie Guy Standing, der in seinem Buch „The Precariat: The New Dangerous Class“ (2011) argumentiert, dass Neoliberalismus und Arbeitsmarktreformen zur Entstehung einer neuen sozialen Klasse führen – des Prekariats, das durch Unsicherheit und Instabilität gekennzeichnet ist und anfällig für rechtspopulistische und rechtsextreme Bewegungen ist.
Die Gefahren der Einbindung rechtsextremer Parteien
Aus marxistischer Perspektive ist die Einbindung und Normalisierung rechtsextremer Parteien ein gefährlicher Trend, der das Potenzial hat, die materiellen und sozialen Bedingungen der Arbeiterklasse weiter zu verschlechtern und die soziale Ungleichheit zu verstärken. Die zentrale marxistische Analyse der Gesellschaft ist die Betrachtung von Klassenverhältnissen und Machtstrukturen, und von dieser Warte aus kann der Aufstieg und die Normalisierung rechtsextremer Parteien als Verschärfung der bestehenden Ausbeutungs- und Unterdrückungsmechanismen verstanden werden.
Rechtsextremismus und die Verschiebung des politischen Diskurses
Die Normalisierung rechtsextremer Parteien führt oft zu einer Verschiebung des gesamten politischen Diskurses nach rechts. Dies war beispielsweise in Ungarn zu beobachten, wo die rechtsextreme Partei Fidesz nach ihrer Einbindung in die Regierung in der Lage war, die politische Agenda in eine zunehmend nationalistische und autoritäre Richtung zu lenken. Aus marxistischer Perspektive kann dies als eine Ablenkung von den eigentlichen sozioökonomischen Problemen gesehen werden, wie der zunehmenden sozialen Ungleichheit und der Ausbeutung der Arbeiterklasse. Stattdessen werden Minderheiten, Migranten und andere Marginalisierte oft als Sündenböcke dargestellt und für soziale Probleme verantwortlich gemacht.
Entmachtung der Arbeiterklasse
Die Einbindung rechtsextremer Parteien kann zu einer weiteren Entmachtung der Arbeiterklasse führen. Rechtsextreme Parteien neigen oft dazu, Gewerkschaften und andere Formen der Arbeiterorganisation zu untergraben, und fördern stattdessen ein individualistisches und marktorientiertes Wirtschaftssystem. Dies war beispielsweise in Brasilien zu beobachten, wo die rechtsextreme Regierung unter Präsident Bolsonaro eine Reihe von Maßnahmen ergriffen hat, um die Macht der Gewerkschaften zu schwächen und die Rechte der Arbeiter zu untergraben.
Zunahme rassistischer und fremdenfeindlicher Politiken
Die Einbindung und Normalisierung rechtsextremer Parteien führt oft zur Verbreitung von rassistischen und fremdenfeindlichen Politiken, die die Solidarität unter der Arbeiterklasse untergraben und die Arbeiter gegeneinander ausspielen. Dies ist ein direkter Angriff auf den marxistischen Grundsatz der internationalen Solidarität der Arbeiterklasse und dient dazu, die Aufmerksamkeit von den eigentlichen Ursachen der sozialen und wirtschaftlichen Probleme abzulenken.
Eine Agenda gegen den Aufstieg der Rechten
Es gibt eine Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit den Auswirkungen von Sozialstaatsreformen auf den Erfolg nationalistischer und rechtsextremer Bestrebungen beschäftigen. Diese Forschung zeigt oft, dass wirtschaftliche Unsicherheit und wahrgenommene Ungleichheit ein fruchtbarer Nährboden für solche Bewegungen sind.
Ein prominentes Beispiel ist die Arbeit des Ökonomen David Rueda, der in seiner Forschung zeigt, dass in Ländern mit starken Sozialstaaten und niedriger Ungleichheit nationalistische und rechtsextreme Bewegungen tendenziell weniger erfolgreich sind. In seiner Arbeit „Who Votes for the Radical Right in Western Europe?“ (2018) argumentiert Rueda, dass arbeitslose und prekär Beschäftigte in Ländern mit großzügigen Sozialleistungen weniger wahrscheinlich rechtspopulistische Parteien wählen.
Ein weiterer wichtiger Beitrag stammt von dem Soziologen Armin Schäfer. In seiner Arbeit „Der Wohlfahrtsstaat und die Rechte“ (2016) argumentiert Schäfer, dass die Deregulierung des Arbeitsmarktes und der Abbau des Wohlfahrtsstaates die Unsicherheit und Ängste der Menschen verstärken und so den Boden für den Erfolg rechtspopulistischer Bewegungen bereiten.
Schließlich hat die Soziologin Karin Priester in ihrer Arbeit „Rechtspopulismus als ‚Bürgerbewegung‘: Kampagnen gegen Islam und Moscheebau und kommunale Gegenstrategien“ (2007) untersucht, wie rechtspopulistische Bewegungen die Unzufriedenheit mit sozialen Veränderungen und Unsicherheit ausnutzen, um Unterstützung zu mobilisieren.
Um den Aufstieg der AfD und ähnlicher Bewegungen zu stoppen, ist es daher unerlässlich, dass die Politik die sozialen und wirtschaftlichen Ursachen der Unzufriedenheit und Angst ernst nimmt und Maßnahmen ergreift, um den Niedriglohnsektor zu begrenzen, das Sozialsystem zu stärken und Arbeitslose besser zu unterstützen. Dies könnte durch eine Kombination aus Mindestlohnsteigerungen, stärkerer Arbeitnehmerbeteiligung, verbesserten Sozialleistungen und einer umfassenden Bildungs- und Ausbildungsstrategie erreicht werden.
Die Herausforderung besteht darin, eine Politik zu entwickeln, die nicht nur ökonomisch sinnvoll, sondern auch sozial gerecht ist. Dies erfordert eine Abkehr von der reinen Marktorientierung hin zu einem Ansatz, der das Wohl der Menschen in den Mittelpunkt stellt. Nur so kann die Politik das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen und den Aufstieg der Rechten stoppen.