An der Basis vorbei


20. September 2018


Politik und Kommunikation im Deutschen Bundestag


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Die Parteivorsitzenden der Großen Koalition haben im Kanzleramt die Ablösung des für Wohnungsbau zuständigen Staatssekretärs ausgehandelt. An seiner Stelle soll der bisherige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz nun die Bereiche Sicherheit und Netzkriminalität verantworten. Das Echo aus den beteiligten Parteien zeigt vor allem eines: die handelnden Personen regieren nicht nur an der Basis vorbei, sondern haben auch die Erwartungen an politische Kommunikation in der Bundesrepublik heute in keiner Weise verstanden.

Am Abend der Entscheidung gab es wider Erwarten keine Pressekonferenz der Beteiligten. Lediglich in einer Pressemitteilung wurde den Medien mitgeteilt, man habe sich auf eine Abberufung von Hans Georg Maaßen geeinigt. Der Spitzenbeamte werde stattdessen zum Staatssekretär im Bundesinnenministerium ernannt. Für Maaßen bedeutet dies einen Gehaltszuwachs von monatlich etwa 2600 Euro. Dieser Zuwachs entspricht in etwa einem monatlichen Durchschnittsbruttolohn in Deutschland.

Am Abend fiel SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil die Aufgabe zu, das Verhandlungsergebnis sowohl in den ARD tagesthemen als auch im ZDF heute journal gegen die Fragen der Journalisten zu verteidigen. Dies sei ein Fehler gewesen, analysiert Lisa Caspari bei ZEIT Online. Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles habe damit signalisiert, sie stehe nicht hinter dem Erreichten.

„Doch ihr Name ist mit dem Kompromiss verbunden, sie lässt nun zu, dass andere ihr Handeln deuten.“

Erst am folgenden Tag verkündete Bundesinnenminister Horst Seehofer, er werde den Staatssekretär Gunther Adler in den Ruhestand versetzen und an dessen Stelle Hans Georg Maaßen einsetzen. Adler ist nicht nur Mitglied der SPD, sondern auch zuständig für das wichtige Thema Wohnungsbau.

SPD-Gesundheitsexperte und Mitglied des Deutschen Bundestages Karl Lauterbach meldete per Twitter, dass Staatssekretäre ohnehin kaum Einfluss hätten.

Tweet von Karl Lauterbach: "Handelsstreit durch Trump, Syrienkrise in Idlib, Brexit, AfD Nazisprüche im Bundestag, Mietexplosion etc. Es kann gute Gründe geben die GroKo zu beenden. Ein beamteter unfähiger Staatssekretär reicht dazu nicht. Jeder weiß doch dass Staatssekretär mehr Status als Einfluss" | Twitter.com

Tweet von Karl Lauterbach: „Handelsstreit durch Trump, Syrienkrise in Idlib, Brexit, AfD Nazisprüche im Bundestag, Mietexplosion etc. Es kann gute Gründe geben die GroKo zu beenden. Ein beamteter unfähiger Staatssekretär reicht dazu nicht. Jeder weiß doch dass Staatssekretär mehr Status als Einfluss“ | Twitter.com

Die Kritik aus den Reihen der SPD an der Verhandlungsführung von Andrea Nahles findet ein breites mediales Echo, bis hinein in die Abendnachrichten von ARD und ZDF. Verantwortlich dafür ist unter anderem ein von zahlreichen Medien übereinstimmend als „Brandbrief“ bezeichnetes offenes Schreiben der SPD-Vizevorsitzenden Natascha Kohnen an Andrea Nahles. Kohnen wurde im März 2018 auf einem Landesparteitag der BayernSPD als Spitzenkandidatin für die bayerische Landtagswahl im Oktober des selben Jahres gewählt. Bereits in der Flüchtlingspolitik war Kohnen im Rahmen des Wahlkampfes auf Distanz zu Nahles gegangen, welche die Sozialdemokraten auf eine härtere Abschiebepraxis einschwören möchte.

Ebenfalls im Landtagswahlkampf steckt Torsten Schäfer-Gümbel. Der Hesse ließ verlautbaren, er ertrage die Politik in Berlin „nur noch mit der Faust in der Tasche“. Schäfer-Gümbel strebt das Amt des hessischen Ministerpräsidenten an. Bei den einfachen Parteimitgliedern dürfte dies als Durchhaltebotschaft ankommen.

Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles reagierte mit einem „Mitgliederbrief zur aktuellen Lage“, welcher von der Mailadresse „Andrea Nahles <noreply@neuigkeiten.spd.de>“ versendet wurde.

„Ich verstehe die Kritik am aktuellen Vorgehen, sie hat aber einen klaren Adressaten: Horst Seehofer.“

Im ersten Abschnitt des Briefes appelliert Nahles an die Identifikation der Mitglieder mit der SPD:


EMPFEHLUNG DER REDAKTION


„Der Verfassungsschutzpräsident muss gehen. Das hat die ganze SPD gemeinsam gefordert, weil er das Vertrauen in eine seriöse und faktenbasierte Arbeit verspielt hat und zum Stichwortgeber für Verschwörungstheoretiker geworden ist. […] Gestern Abend haben wir das durchgesetzt.“

Die SPD-Vorsitzende suggeriert, sie habe im Interesse der ganzen SPD gehandelt und „gemeinsam“ habe man das politische Ziel erreicht. Transparent wäre es hier gewesen, den Preis für den Handel zu benennen: Der für Wohnungsbau zuständige Staatssekretär der SPD im Innenministerium muss gehen. Dies haben alle drei Parteivorsitzenden abgesegnet. Kritik an dieser Entscheidung folgte sowohl von einfachen Parteimitgliedern, als auch auch – und vor allem – von den SPD-Landesvorsitzenden. In Telefonkonferenzen sollen sie nach Medienberichten beklagt haben, nicht vorher in die Verhandlungstaktik eingeweiht worden zu sein.

Im zweiten Absatz des Briefes lässt Nahles schreiben:

„Leider war Horst Seehofer nur unter der Bedingung zu einer Ablösung von Herrn Maaßen zu bewegen, dass er ihn als Staatssekretär in sein Innenministerium holt. Ein SPD-Minister hätte das nicht getan, ich halte es auch für falsch. Ich verstehe die Kritik am aktuellen Vorgehen, sie hat aber einen klaren Adressaten: Horst Seehofer.“

Sollte im ersten Abschnitt noch ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt werden, endet dieses spätestens mit diesem Absatz. Nahles hatte versprochen, dass es im Rahmen der Erneuerung der SPD breitere Debatten geben würde. Nun wird klar: wichtigste Entscheidungen der Parteispitze sollen kein Gegenstand der Debatte sein. Kritik an der von Nahles ohne Rückkopplung mit den Landesverbänden getroffenen Entscheidung soll an Horst Seehofer gerichtet werden.

„Das müssen wir aushalten.“

Im folgenden Abschnitt des Briefes an die Mitglieder soll offenbar diese einsam getroffene Entscheidung verteidigt werden: Die Entscheidung von Horst Seehofer stelle eine weitere Belastung für die Zusammenarbeit in der Koalition dar. Die Durchhalteparole lautet, dass man dies aushalten müsse. Die internationale Lage mache dies erforderlich. Für die SPD sei es daher wichtig, dass „wir eine handlungsfähige Bundesregierung behalten“.

Zuletzt beschwört Nahles dann Erfolge der SPD in der Bundesregierung: Parität in der Krankenversicherung wieder eingeführt, Rückkehrrecht in Vollzeit durchgesetzt, Rente stabilisiert, das Gute-Kita-Gesetz, die Qualifizierungsoffensive.

Fehlende Botschaften

Bereits die Erzählung, in welche die Ereignisse durch die SPD eingebettet wurden, ist kaum vermittelbar. Martin Greive vom handelsblatt Online sieht Andrea Nahles in einer Glaubwürdigkeitsfalle:

„Genau in dieser Glaubwürdigkeitsfalle sitzt jetzt Nahles: Erst hat sie Maaßens Rücktritt gefordert, nur um dann dessen Wegbeförderung mitzutragen.“

Am Beispiel der Krisenkommunikation der SPD wird stellvertretend deutlich, dass die Parteien die Bedeutung politischer Teilnahme und dialogischer Kommunikation noch immer nicht vollumfänglich erfasst haben. Gerade im digitalen Bereich bieten sich relativ kostenarme, aber wirksame Möglichkeiten, mit Wählern und Mitgliedern in Kontakt zu kommen.

Das pr-Journal zeichnet anhand der Vorfälle in Chemnitz nach, wohin eine verfehlte Krisenkommunikation führen könne. Kommunikation sorge „mittels Information, Transparenz und Bereitschaft zum Dialog für Verständigung, Verständnis und Vertrauen“. In der demokratischen Mediengesellschaft habe sich allerdings das Gewicht dieser Faktoren immer stärker auf die Publikums- und Mediengerechtheit verlagert. Politische Kommunikation gliedere sich insbesondere in zwei Aufgaben: Information und Verständigung.

„Politik und Behörden müssen wieder lernen, gut, richtig, vertrauensvoll und wahrhaftig mit der Bevölkerung kommunizieren, sonst werden andere Akteure mit gegenläufigen Interessen versuchen, diese Lücke auszufüllen.“

Dies könne nur im Dialog geschehen. Die Kommunikation der SPD in dieser Krisen ist bisher allerdings nicht dialogisch angelegt, sondern vor allem informierend. Zu Feedback wurde nicht eingeladen. Auch nicht in dem Mitgliederbrief von Nahles. Bereits die verwendete Mailadresse signalisiert, dass Rückmeldungen nicht erwünscht scheinen. Keine Fragen, keine Beteiligungsmöglichkeiten, keine Einladung zum Dialog.

Unter diesen Vorzeichen ist nachvollziehbar, weshalb eine Mitgliedschaft in einer Partei für die Bevölkerung kaum noch eine geschätzte Form politischer Teilhabe ist.

Nutzung von Formen politischer Teilhabe | Quelle: Statista.de

Verbreitung von Formen politischer Teilhabe | Quelle: Statista.de (2018)

Der Jurist Horst Meier weist im Rahmen der Debatte um die Zukunft des Verfassungsschutzes darauf hin, dass die Verfassung vor allem durch politische Teilhabe geschützt werden:

Dass die Bürger an die Demokratie und die Verfassung glauben, dafür muss man politisch werben. Das ist eine Frage der politischen Debatte und der öffentlichen Diskussion.

Politik muss verstehen, dass das Ziel des Werbens immer ein Dialog ist.

Widerstand gegen die Beförderung von Maaßen gibt es auch in der CDU. Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer kündigte an, ebenfalls einen Mitgliederbrief zu veranlassen.


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