Kirsten Lühmann: Schuld war der Mitarbeiter
Nach dem Verwirrspiel um die Vorgänge beim Polizeieinsatz in Leipzig-Connewitz am Silvesterabend hatte die frisch gewählte SPD-Vorsitzende Saskia Esken jede Gewalt verurteilt und zugleich die Frage gestellt, ob die Einsatztaktik zum Schutz der beamten geeignet war. Prompt hagelte es Kritik von rechts, aber auch aus den eigenen Reihen. Ganz vorn dabei: die Abgeordnete Kirsten Lühmann.
Die Hermannsburgerin kritisierte Esken in einem offenen Brief und warf ihr eine Relativierung der Gewalt gegen Polizisten vor. Dieses gegenüber ihrer Parteivorsitzenden unsolidarische Verhalten kommt nicht von ungefähr: Lühmann möchte den Rechtsaußen Rainer Wendt als Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft ablösen.
Wendt gilt mindestens als umstritten. Jahrelang hatte er nebenbei Polizistenbezüge kassiert, obwohl er ausschließlich für die Gewerkschaft tätig war. Immer wieder sucht er mit befremdlichen Äußerungen die Öffentlichkeit. Seine Fans kommen vor allem aus dem eher rechten Lager. Eigentlich eine gute Idee, diesen Mann einzusetzen. Doch ist Lühmann die Richtige?
Lühmann wird dem eher konservativen Flügel der SPD zugerechnet. Traditionell dürfte das vielen Beamten eher zusagen, als eine Vorsitzende aus dem eher linken Spektrum. Ihre Herkunft aus Niedersachsen dürfte Lühmann ebenfalls zugute kommen. Auch und gerade in der SPD existiert ein Machtnetzwerk rund um dieses Bundesland.
Nach dem Mitgliederentscheid der SPD zur Wahl der neuen Vorsitzenden hatte sich Lühmann schnell für Hubertus Heil, ebenfalls Niedersachse, als stellvertretenden Vorsitzenden ausgesprochen und auf die Einbindung des „pragmatischen“ Flügels in die Parteiführung gedrungen.
Als Gegenkandidatin zu Wendt hat Lühmann schon früh das drängende Thema Gewalt gegen Polizeibeamte auf ihre Agenda gesetzt. Eines der größten Probleme sei, dass sich Polizisten nicht wertgeschätzt fühlen würden und die Angriffe gegen sie zunähmen. Die Kritik an Esken dürfte daher vor allem auf den Machtkampf in der Polizeigewerkschaft zurückzuführen sein.
Auf der anderen Seite steht, dass Lühmann neben ihrem Mandat als Bundestagsabgeordnete offenbar viel Zeit für Nebentätigkeiten hat. Über 228.000 Euro hat sie in dieser Legislaturperiode so bereits verdient. Kaum vorstellbar, dass dies ohne nennenswerten Zeitaufwand möglich sein soll. Neben ihrem Mandat sowie den Vorstandstätigkeiten bei der Deutschen Polizeigewerkschaft sowie dem Beamtenbund dbb sitzt Lühmann – wie zahlreiche Parlamentarier – in diversen Aufsichts- und Beiräten:
„Die Hermannsburgerin sitzt im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn. Bis 30. Juni 2018 hatte sie auch einen Sitz im Aufsichtsrat der BTA Betriebs- und Anlagegesellschaft Berlin. Sie ist zudem stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Nürnberger Beamten Allgemeine Versicherung und der Nürnberger Beamten Lebensversicherung. Außerdem ist Lühmann Mitglied des Beirates der Deutschen Flugsicherung in Langen.“
Dabei verdiente sie nebenbei allein durch einzelne Tätigkeiten, was regulär arbeitende Menschen als Jahresgehalt zur Verfügung haben. Dann stellte sich heraus, dass sie ihre Nebenverdienste zeitweise zu spät angegeben hat:
„Als Aufsichtsrätin bei der Deutschen Bahn bekam Lühmann 2017 von dem staatseigenen Unternehmen 36 176 Euro. Die meldete sie laut Bundestagsverwaltung aber erst anderthalb Jahre später. Am 21. März 2018 überwies ihr die Bahn 34 272 Euro. Lühmanns Büro gab die Summe allerdings erst am 18. September 2018 an. Die 20 000 Euro, die sie als Aufsichtsrätin von der Nürnberger Beamten Lebensversicherungen AG kassierte, meldete sie laut Schäubles Darstellung einen Monat zu spät.“
Als Chefin hätte sie die Pflicht, sich schützend vor ihre Mitarbeiter zu stellen. Stattdessen wälzt sie eigenes Versagen auf diese ab. Ihr Mitarbeiter hätte die entsprechenden Bescheinigungen nicht rechtzeitig besorgt. Natürlich wäre es für Lühmann als gut vernetzte und hoch dotierte Abgeordnete ein leichtes gewesen, entsprechende Nachweise selbst rechtzeitig zu erlangen.
Zuletzt hatte sich die derzeit als Verkehrsexpertin eingesetzte Lühmann immer wieder durch zögerliches Auftreten gegenüber dem völlig versagenden Verkehrsminister Andreas Scheuer hervorgetan. Auch nach immer neuen Offenbarungen von Fehltritten Scheuers möchte sie vor allem eines: abwarten.
Sollte sich keine dritte Kandidatur für den Vorsitz der Polizeigewerkschaft finden, stünde diese vor einem Problem: hier der eher rechte Rainer Wendt, dort Lühmann, die kaum wirklich für eine Vertretung von einfachen Angestellten zu stehen scheint.
Für die SPD ergeben sich daraus ebenfalls Fragen:
- Wäre es nicht sinnvoll, Nebentätigkeiten und Zuverdienste von Abgeordneten zu beschränken? Als Vertreterin von Mittelstand und sozial Abgehängten ist die SPD wenig glaubwürdig, wenn auch in ihrer Fraktion Abgeordnete Hunderttausende Euro nebenbei verdienen und kaum noch Zeit für ihr Mandat haben.
- Sind SPD-Abgeordnete glaubwürdig als VertreterInnen von Arbeitern, Angestellten und Arbeitslosen, die offenkundig wenig davon verstehen, sich für die Belange der eigenen Belegschaft einzusetzen?
- Welche Konsequenzen ziehen die Basismitglieder vor Ort für die Aufstellung von KandidatInnen für den Bundestag?