Überwachungsstaat

Unter dem Radarschirm


24. Oktober 2020


Politik und Kommunikation im Deutschen Bundestag

Autoritäre Staaten bauen im Zuge der Coronakrise die Überwachung aus. Die Demokratien des Westens ziehen nach.

Bereits 1997 warnte der jeder Paranoia unverdächtige Lord Ralf Dahrendorf vor dem Aufziehen eines neuen autoritären Zeitalters vor dem Hintergrund der Globalisierung. Es scheint, als wollte die Weltgeschichte Dahrendorf nachträglich Recht geben.

Der Katalog an unterdrückenden Maßnahmen in autoritären Staaten, etwa dem Ungarn Victor Orbans, beginnt mit der Beschränkung des Zugangs zu freier Information, etwa durch Einschränkung der Pressefreiheit, aber auch der Abschaltung des Internets in den jeweiligen Regionen.

Noch weiter gehen in verschiedenen Länder etwa die dortigen Corona-Apps. In Russland und Indien werden beispielsweise GPS-Daten mit dem Staatsapparat geteilt, sogar regelmäßige Selfies „zur Kontrolle der Maskenpflicht“ sind an der Tagesordnung.

Nach dem aktuellen Report „Freedom on the Net“ der Freedom House Stiftung gibt es in 54 Ländern massive Probleme mit dem Datenschutz der Corona-Apps.

Doch auch in der Bundesrepublik soll die Überwachung weiter ausgebaut werden. Im Oktober 2020 beschloss die Bundesregierung weitgehende Befugnisse für sämtliche deutschen Geheimdienste. Diese sollen selbst verschlüsselte Messenger-Nachrichten in Diensten wie Whatsapp, Telegram und Co. mitlesen dürfen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber (SPD) warnt laut Handelsblatt vor den Folgen.

Es besteht die Gefahr, dass das Ausmaß der staatlichen Überwachung in der praktischen Anwendung das für eine Demokratie erträgliche Maß übersteigt.

Kelber macht darauf aufmerksam, dass die geplanten Befugnisse deckungsgleich mit polizeilicher Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) sei und dadurch das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten aufgeweicht würde. Dieses Trennungsgebot wurde der Bundesrepublik nach den Erfahrungen mit der Geheimen Staatspolizei während der Nazidiktatur in das Stammbuch geschrieben.

In einer Zeit, in der regelmäßig neue Fälle bekannt werden, in denen Angehörige der Sicherheitsbehörden ihre Befugnisse missbrauchen, muss jeder Ausbau dieser Befugnisse Widerstand hervorrufen. Heute sind es Adressabfragen in Polizeicomputern, das Anlegen von Todeslisten, der Kauf von Leichensäcken, die Vorbereitung auf einen Tag X.

Was aber passiert, wenn eines Tages eine autoritäre Koalition die Bundesregierung stellt? Wer will garantieren, dass eine schwarz-blaue Regierung nicht der Versuchung erliegt, die heute geschaffenen Möglichkeiten gegen politisch Andersdenkende einzusetzen?

Wer dies für undenkbar hält, sollte überlegen, ob jemals mit einem US-Präsidenten zu rechnen war, der selbst auf Nachfrage nicht zusichern wollte, im Falle einer Niederlage das Weiße Haus freiwillig zu räumen.

Der Sprecher des Chaos Computer Club, Linus Neumann, warnte bereits im Juni 2020, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz eine von Skandalen gebeutelte Behörde sei, die noch vor kurzem von einem extrem-rechten Verschwörungstheoretiker geleitet wurde. Nun solle ausgerechnet diese Behörde ohne nennenswerte Kontrolle Smartphones hacken dürfen.


EMPFEHLUNG DER REDAKTION


Die Quellen-TKÜ sollte ursprünglich nur bei schweren Straftaten durch die Polizei eingesetzt werden. Dann wurden die Hürden immer niedriger gesetzt – inzwischen bis hinunter zur Alltagskriminalität. In diesen Fällen gibt es aber immerhin noch eine richterliche und öffentliche Kontrolle bei der Verhandlung. Auch das fällt nun weg: Der deutsche Inlandsgeheimdienst soll hacken dürfen, wen er will.

Doch auch auf der europäischen Ebene treibt die Bundesregierung den Ausbau von Überwachung voran. Inzwischen wurden Arbeitsgruppen gegründet, die sicherstellen sollen, dass beispielsweise das Prinzip „Privacy by Design“ bei der Einführung des %G Funkstandards umgangen oder die Vorratsdatenspeicherung ermöglicht werden können. Wie Heise berichtet, soll hier ein gemeinsames europäisches Überwachungsnetz entstehen.

In Sachen Vorratsdatenspeicherung hatte kürzlich die Ministerpräsidentin Manuela Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat einen neuen Versuch gestartet, das Überwachungsinstrument zu normalisieren. Begründung war der Kampf gegen Kinderpornografie.

In dem Antrag hieß es, die Bundesregierung hätte „angesichts der noch ausstehenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes, des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundesverwaltungsgerichtes die Einführung der Mindestspeicherpflicht so weit wie unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und Europäischen Gerichtshofes verfassungsrechtlich und europarechtskonform möglich vorzubereiten“. Die Entscheidung wurde zunächst vertagt.

In den USA lässt sich gewöhnlich beobachten, welche Entwicklungen und Auswüchse der Kapitalismus zeitverzögert auch im übrigen Westen hervorbringen wird. Mittlerweile gibt es sogar Apps, die das Prinzip der Öffentlichkeitsfahndung mit Social Networking verbinden, wie die taz berichtet. Amazon präsentiert zeitgleich eine Kombination aus Türklingel mit Kamera sowie eine zusätzliche Kamerdrohne zur Innenraumüberwachung. Der Konzern machte in den USA Schlagzeilen, nachdem bekannt wurde, dass die Firma GPS-und weitere Daten mit der Polizei geteilt hat.


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